Der große Bedarf an Fachkräften im Bereich Softwareentwicklung hat zunächst in den USA und dann weltweit dazu geführt, dass in den letzten Jahren mehr als 300 sogenannte Coding Bootcamps entstanden sind. Das Versprechen dieser Camps klingt verlockend, doch was steckt dahinter? Ersetzen Coding Bootcamps bald ganze Studiengänge?
„Wir bringen Dir in 12 Wochen das Programmieren bei und helfen Dir bei Deinem erfolgreichen Berufseinstieg als Programmierer.“ – mit diesem attraktiven Versprechen werben die meisten Coding Bootcamps. Viele Anbieter gehen sogar so weit, dass sie sich über prozentuale Anteile an den ersten Gehältern nach dem Camp finanzieren oder eine Geld-Zurück-Garantie geben, falls man kurze Zeit nach dem Camp noch keinen Arbeitsplatz als Programmierer gefunden hat. Der Preis vieler Angebote ist mit bis zu 20.000 US-Dollar dementsprechend hoch.
Mit Stackademy oder Hackership finden sich auch auf dem deutschen Markt Angebote dieser Art. Das deutsche Startup CareerFoundry hingegen verfolgt einen E-Learning-Ansatz, bei dem sechsmonatige Online-Kurse in den Bereichen Webdevelopment, UX Design und UI Design angeboten werden und es sogar eine Geld-zurück-Garantie gibt, falls man innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss eines Kurses noch nicht seinen Traumjob gefunden hat.
Aber sind diese Versprechen auch realistisch, oder wird hier nur mit der Hoffnung der Menschen auf einen schnellen Ein- und Aufstieg viel Geld verdient, ohne dass sie langfristig davon profitieren? Oder anders gefragt: Kann ein 12-Wochen-Programm einem Kandidaten neben aktuellem Fachwissen mit begrenzter Halbwertszeit auch die Kompetenzen und Fähigkeiten vermitteln, die ihm helfen, 10 Jahre später noch in seinem Beruf auf der Höhe der Zeit zu sein und mit der dynamischen technologischen Entwicklung mitzuhalten?
Über 16.000 Teilnehmer haben letztes Jahr ein Bootcamp absolviert Quelle: Bootcamp Market Size Study 2015 von Course Report
Schaut man auf die Teilnehmerzahlen, scheinen viele diese Frage mit Ja zu beantworten. Waren es 2014 in den USA noch 6.740 Absolventen, schätzt Course Report die Zahl der Absolventen für das Jahr 2015 schon auf über 16.000. Der Umsatz der Anbieter ist entsprechend von 52 Mio. auf 172 Mio. US-Dollar gestiegen.
Gleichzeitig beleuchtet eine Absolventenstudie von Course Report (eventuell nicht ganz uneigennützig) den Erfolg der Programme. 665 Absolventen von 44 verschiedenen Coding Schools machten Angaben zu ihrem beruflichen Werdegang nach Abschluss des Bootcamps. Vier Monate nach Abschluss des Programms hatten 89 Prozent der Absolventen einen Job, ihr Gehalt verbesserte sich um durchschnittlich 18.000 US-Dollar. Damit hätten sie die durchschnittlich 11.852 US-Dollar für das Bootcamp schon wieder eingespielt.
Der Blick auf diese Zahlen wirft einige interessante Fragen auf, auch wenn man vielleicht nicht gleich so weit gehen muss wie jene, die im Erfolg der Boot Camps die Zukunft des Bildungswesens und den Untergang der Computer-Science-Studiengänge sehen. Roshan Choxi stellt in seinem (als Co-Founder eines Boot Camps vielleicht nicht ganz unvoreingenommen) Beitrag „Coding bootcamps are replacing computer science degrees“ diese Frage und verweist etwa auf den Kommentar von Daniel Gelernter, CEO des Tech-Startups Dittach:
The thing I don’t look for in a developer is a degree in computer science. University computer science departments are in miserable shape: 10 years behind in a field that changes every 10 minutes. Computer science departments prepare their students for academic or research careers and spurn jobs that actually pay money. They teach students how to design an operating system, but not how to work with a real, live development team.
There isn’t a single course in iPhone or Android development in the computer science departments of Yale or Princeton. Harvard has one, but you can’t make a good developer in one term. So if a college graduate has the coding skills that tech startups need, he most likely learned them on his own, in between problem sets. As one of my developers told me: ‘The people who were good at the school part of computer science—just weren’t good developers.’ My experience in hiring shows exactly that.
[…] But my lead developer didn’t graduate from college, and neither did my other full-stack developer. I do have one developer with a degree in electrical engineering: did he learn any of his development skills in college, I ask? No.
Sind Coding Bootcamps also die bessere Alternative zu Hochschulen? Müssen die bestehenden Hochschulen diese Entwicklung fürchten? Auch hierzu liefert die Absolventenstudie spannende Einblicke. Der durchschnittliche Teilnehmer ist 31 Jahre alt und hat bereits 7,5 Jahre Berufserfahrung sowie in fast 80 Prozent der Fälle mindestens einen Bachelor-Abschluss. Weniger als drei Prozent der Befragten hatten überhaupt keine College-Erfahrung.
Fast 80% der Bootcamp-Teilnehmer haben mindestens einen Bachelor-Abschluss Quelle: Alumni Outcomes & Demographics Study 2015 von Course Report
Also führt der typische Weg in ein Coding Bootcamp über ein (fachfremdes) Hochschulstudium. In diesem Sinne bieten Bootcamps keine vollwertige „Aus“bildung, sondern eine zielgerichtete „Weiter“bildung. Liegt das Geheimnis des Erfolgs vielleicht genau in dieser Kombination aus einer akademischen Bildung und einigen Jahren Berufserfahrung mit einer konzentrierten praxisorientierten Coding-Ausbildung?
Ein wenig erinnert das Profil der Bootcamp-Absolventen, die zuvor einen akademischen Abschluss in einem anderen Fach gemacht haben, an das Konzept der T-Shaped Professionals, für die sich unter anderem Tim Brown, CEO von IDEO, stark macht.
Die Kritik an typischen Informatik-Absolventen richtet sich passenderweise auch fast immer auf ihre mangelnde Anschlussfähigkeit gegenüber Nicht-Techies bzw. ihre fehlenden praktischen, kommunikativen und sozialen Skills. Im Gegensatz dazu bringen die hier beschriebenen Bootcamp-Absolventen bereits die mit einem Bachelor-Abschluss verbundene kommunikative und soziale Lernerfahrung sowie eine Expertise aus einem anderen Studienfach mit, die sie auch für Nicht-Techies anschlussfähig machen.
Erste Hochschulen haben in Folge bereits damit begonnen, Boot Camps nicht als Bedrohung sondern als Chance zu begreifen und sie in ihre bestehenden Studiengänge zu integrieren. Das ist auf der einen Seite ein Zeichen für Aufgeschlossenheit, auf der anderen Seite aber auch ein Hinweis darauf, dass diese Hochschulen, obwohl sie das Problem erkannt haben, nicht in der Lage oder willens sind, ihre eigenen Studienprogramme entsprechend zu verändern.
Die durchschnittlichen Kosten für ein Bootcamp liegen bei 11.000 Dollar Quelle: Bootcamp Market Size Study 2015 von Course Report
Nun kann die Empfehlung an einen jungen Menschen schlecht die sein, sich irgendein Studium zu suchen und anschließend an einem Coding Bootcamp teilzunehmen. Stattdessen muss die Frage doch lauten, wie ein Bildungsprogramm aussehen müsste, das die Vorteile eines akademischen Studiums mit dem verbindet, was Boot Camps in den Augen der Teilnehmern und der Arbeitgeber so attraktiv macht?
Vorstellbar wäre ein projektbasiertes Studium, in dem die Studierenden – statt über mehrere Semester in Grundlagenveranstaltungen zu sitzen – von Beginn an an praxisrelevanten Projekten arbeiten, während die Dozenten der Hochschule die Studierenden bei ihrer fachlichen und persönlichen Entwicklung anleiten und ihnen zu den passenden Zeitpunkten helfen, sich die theoretischen und methodischen Grundlagen zu erarbeiten, deren praktische Relevanz sich aus der Projekterfahrung herleitet.
In einem solchen Studium wäre die intensive Projektarbeit eingebettet in einen größeren Lernzusammenhang, der ausreichend Raum und Anleitung für die Entwicklung von theoretischen, sozialen und kommunikativen Fähigkeiten bietet. Und alle Absolventen hätten über ihre Projekte schon eine Vielzahl an Kontakten zu potentiellen Arbeitgebern oder auch Mitgründern.
„Welcome to the future of computer science education“ gefunden auf der Homepage der Make School
Einen solchen Ansatz verfolgen Startups wie die Make School und die Holberton School, beide ansässig in San Francisco. Sie bieten ein zweijähriges, stark projektbasiertes und studiumsähnliches Modell an, das sie als Alternative zum College positionieren. Ein in unseren Augen sehr erfolgversprechendes Modell, das die Vorteile beider Welten miteinander zu verbinden versucht.
Bleibt zu hoffen, dass die bestehenden Hochschulen den Erfolg der Coding Bootcamps nicht als Bedrohung, sondern als Impuls interpretieren, ihre eigenen Studienprogramme zu überarbeiten und auf eine zeitgemäße Didaktik umzustellen.
Und was das oben beschriebene projektbasierte Studium angeht – wenn es so eine Hochschule nicht schon gibt, sollte man dringend eine gründen…
In unserem nächsten Blogpost: Warum es Coding Bootcamps deutlich besser gelingt, weibliche Teilnehmer zu gewinnen als klassischen Studiengängen in Deutschland und den USA, und was wir daraus lernen können, um in Zukunft mehr Frauen für digitale Berufe zu begeistern.
Toller Bericht, in der Tat ist es so dass ich immer öfter aus meinem IT Bekanntenkreis höre, dass oftmals gelernte Fachinformatiker / Bootcamper oder Autodidakten den Absolventen vorgezogen werden.
Meist liegt die Begründung darin, dass bei Absolventen das Gefühl für die Praxissituation und Teamarbeit fehlt.
Natürlich sollte man die Kompetenzen vieler Informatik Studenten da draußen nicht unterschätzen, es scheint aber so, dass in der Zukunft die Unis einen neuen Kurs einschreiten werden müssen.
Als Tutor für ein Programmierlastiges Fach und Teilehmer an verschiedenen Uni-Projekten kann ich bestätigen, dass nach dem Bachelor etwa 50% der Leute nicht in der Lage sind selbstständig Probleme zu erarbeiten, geschweige denn Code zu schreiben.
Der Hauptunterschied zwischen Uni und Bootcamp liegt vor Allem in der Motivation. Für das Bootcamp zahlt man viel Geld und sieht darin eine Chance auf bessere Jobs. Dahingegen besitzt der durchschnittliche Student kaum Motivation und begnügt sich damit die meisten Aufgaben nur dann zu machen wenn man ihn dazu zwingt.
Ich denke für einfache und mittelschwere Programmieraufgaben reicht ein Bootcamp. Die Leute mit Talent werden sich automatisch weiterentwickeln und sich für komplexere Aufgaben qualifizieren.
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